February 22nd, 2008

[info]lenija in [info]chaos_dialogues

Logbuch des Shoguns, vierter Eintrag

Ivana, Herbst

Vielleicht sollte ich in Erwägung ziehen, diesen Titel für mich zu beanspruchen.
Wir haben den ersten Kampf gewonnen. Unsere Späher benachrichtigten uns frühzeitig über die Bedrohung durch die Barbarenhorde, doch ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wie ich die Situation einschätzen sollte.
"Ihr müßtet mittlweile genug über Taktik wissen!", schimpfte Tokema, gegen seine Natur die Selbstbeherrschung verlierend, "wenn Ihr mir auch nur einmal zugehört hättet!"
Ich erklärte ihm so ruhig wie möglich, daß das nicht meine Aufgabe sei, Kriegstaktik zu lernen.
"Was sollte dann Eure Aufgabe als Herrscherin sein, Baronin?"
"Zu delegieren", sagte ich. "Besprecht Euch mit Inse. Als Kommandantin und Ausbilderin ist sie die Zuständige, nicht ich. Ich habe vollstes Vertrauen zu Euch. Ihr werdet die beste Lösung finden, wie wir mit dieser Lage umgehen."
"Widensra ist Ausländerin, bei allem Respekt, Dona -"
"Tokema, tut was ich Euch sage."

Nach dem Gespräch hatte ich das dringende Bedürfnis, mir ein Glas Wein einzugießen.
Koryo, der fast immer in meinem Büro ist, weil ich die Bilanzbücher nicht aus den Augen lassen will, musterte mich mit einem seltsamen Blick. "Was ist?"
"Ich hoffe nur, Ihr habt Euch soeben keinen Feind gemacht."
"Tokema würde mir keinen Dolch in den Rücken stechen, nicht er."
"Das ist nicht alles, was er tun kann."
"Wenn ihr alle alles so viel besser wißt als ich, wieso habt Ihr dann nicht das Szepter in der Hand, he?" rief ich. Ich hatte ausgesprochen genug von diesem Unfug.
Koryo stand auf, nahm mir das Weinglas aus der Hand und stellte es auf der Kommode ab.
"Wenn Ihr nicht zulaßt, daß Eure engsten Vertrauten Euch kritisieren, Rico, von wem wollt Ihr lernen? Wie könnt Ihr wissen, daß Ihr keine Fehler macht?"
"Inse weiß am besten -"
"Es geht nicht nur um heute."
"Um was dann, Koryo? Um was dann?"
Er reckte das Kinn vor; ich habe ihn vorher noch nie so entschlossen gesehen, nicht, daß ich mich erinnere. "Ihr müßt verstehen, Baronin, daß ihr Opfer bringen müßt. Hört Ihr das zum ersten Mal?"
"Was glaubt Ihr denn alle, was ich tue?" schrie ich. "Dir habe ich die Bilanzen übergeben müssen, Seva die Pferde, ich verbringe meine Tage mit ergebnislosen Gesprächen mit ungebildeten Bauerntrotteln, anstatt zu tun, was ich kann und tun will. Anstatt etwas zu erleben, oder zumindest Zahlen zu schieben - du tust das alles, was erlaubst du dir überhaupt, du, der du deinen Spaß haben kannst mit Briefwechseln, Handelsabkommmen, Marktbesuchen, und Tokema liebt die Kämpferei, und er erwartet, daß ich wie einer seiner Kriegerfürsten werden, die es seit tausend Jahren nicht mehr gegeben hat - ich kann nicht alles können! Ich bin nicht Varitio, noch bin ich Tokemas heißgeliebter Yamamoto-Fürst. Wie soll ich meine Pflicht erfüllen, wenn ihr mich nicht tun laßt, was ich kann, aber von mir erwartet, daß ich an allem anderen Spaß habe?"
"Rico -"
"Nein!"
"Doch." Er hielt meinen Arm fest, bevor ich das Glas von der Kommode schleudern konnte. "Niemand erwartet das. Und selbst wenn es so wäre, du mußt dich von den Erwartungen der anderen lösen, dein Urteil verwenden, dich nicht von mir oder den Adligen aus der Ruhe bringen lassen."
Ich mußte den Kopf schütteln. "Du widersprichst dir."
"Vielleicht ein wenig", gab er zu. "Was ich meine ist, ja, tu das, was du für richtig hältst, aber höre auf Ratschläge und bedenke sie. Du weißt selbst, wie viele hinter Tokema stehen, und wie wichtig es ist -"
"-daß er auf unserer Seite bleibt, ja."
Koryo lächelte. "Taktik ist nicht sehr verschieden von Mathematik, Rico, wenn du es mit Ruhe betrachtest."

Ich habe es mit Ruhe betrachtet, er hatte recht. Ich hatte nur in all dem Trubel des vergangenen Jahres aus den Augen verloren, mit welchen Absichten ich begonnen hatte, daß ich früher keine Schwierigkeiten gehabt hätte, ein paar Blicke auf einen Schlachtplan zu werfen. Ich habe mir vom Trotz den Kopf vernebeln lassen, weil man mir meine geliebten Bücher genommen hat, das wird nicht wieder vorkommen.
Ich schreibe dies auf, um mich später erinnern zu können, was ich gelernt habe. Daß ich auf meine Ratgeber hören, doch die Entscheidungen stur treffen soll, wie eh und je. Daß mein Verstand mich nicht im Stich läßt, wenn ich mir nicht allzu sehr von diplomtischen Notwendigkeiten die Lust am Denken verderben lassen, und daß ich es bin, die beschließen kann, wer sich mit was befaßt, nach wie vor.

Um Ivana steht es nicht übel, wenn auch nicht so ideal wie vor Monaten. Unsere Kassen beginnen sich zu leeren, was in unserem Holzmangel begründet liegt, ich muß nach Konsolidierungsmaßnahmen Ausschau halten.
Es wird Zeit, daß wir uns einer Allianz anschließen, und ich habe schon längere Zeit eine im Auge.
Der Fortschritt in unserer Siedlung geht rasend schnell. Und ja, mit vereinten Kräften stellten wir unsere Truppen vernünftig auf, nur um dann festzustellen, daß wir einer geringeren Streitmacht gegenüber standen, als wir erwartet hatten. Wir schlugen sie leicht.
Ich nehme Kampfstunden bei Inse und erinnere mich wieder an die Grundlagen, es ist nicht gar so schlecht, und man kann es brauchen. Und ich habe Koryo nicht verboten, mich Rico zu nennen, was wohl bedeutet, ich habe einen Freund aus Kindertagen wiedergewonnen.

Inse ist, wie ich gedacht hatte, eine großartige Ausbilderin, die Leute sind ihr sehr loyal. Wenn mir Tokema noch einmal mit der Ausländer-Sache kommt, werde ich ihm heftiger über den Mund fahren als letztes Mal. Das hier ist mein Land, nicht Anciano Nihon.

gez. Rico ya Ivana, Baronin