Logbuch des Shoguns, sechster Eintrag
Ciudad de Ivana, Frühjahr
Ich reise hin und her zwischen dem neuen Gildenhaus in der Hauptstadt und hier, es ist abenteuerlich, anstrengend, beanspruchend, und ich ziehe es jederzeit der gepflegten bäuerlichen Langeweile vor, mit der ich mich in Asahi und Oura auseinanderzusetzen habe. Es ist kein Zeichen von Kompetenz, so unflexibel zu sein, glücklicherweise merkt es nun niemand, weil ich gute Vertreter zuhause habe und meine Pflichten als Ratsmitglied im Rat der Hanse ebenso wichtig sind wie die alten daheim. Im Winter werde ich wieder hier in der Burg sitzen, jetzt aber ist Frühjahr, und es gibt viel zu tun. Auch bevor mich im späten Sommer und Herbst die Schwangerschaft davon abhalten wird, bei Wind und Wetter unterwegs zu sein.
Wir haben uns einen Platz im Kaiserreich erkämpft, der nicht mehr einfach so zu übersehen ist. Inse hat ein ordentliches mittelgroßes Heer zur Bewahrung unserer Sicherheit aufgestellt und arbeitet mit den Schmieden der Yamamoto Ryu zusammen, um die Herstellung besserer Waffen zu vereinfachen, mit denen die alten Techniken umgesetzt werden können. Sie hält diese Techniken, nachdem sie sie nun kennengelernt hat, für äußerst effektiv und durchaus zeitgemäß. Mir gefallen die Taktikhinweise in den Schriften beider Traditionen. Sie sind kombinierbar; manchmal fechte ich auf dem Papier und im Kopf die kleinen Kriege aus, die ich in der Wirklichkeit zu vermeiden suche, und probiere neue Kombinationen wie Schachzüge.
Es regnet, der Wind weht heftig von der Muro dela Llama her und stinkt nach Sumpf. Ich habe wenig Lust, mich gleich wieder auf den Weg nach Ciudad de Argentea zu machen. Morgen, vorher die Papiere, und ein Besuch in Oura, die Kapelle einweihen. Hoffentlich gibt es keinen Sturm, bevor der Deich befestigt ist, oder Ilvauntras Spiegel versetzt meinem Dörfchen einen schmerzhaften Schlag - gut übermorgen in die Hauptstadt. Martell wird auch nicht früher da sein.
Rico ya Ivana, Condesa
persönliche Notiz auf separatem Blatt:
Auch diese privaten Dinge sollten wohl irgendwo niedergeschrieben werden, nicht unbedingt in dem Dokument, das als erstes in den Händen meiner Erben landen wird, aber irgendwo.
Ich habe mir Gedanken über Erben gemacht, doch kann ich mich damit nicht herausreden; Tokema Hiroshi stand keinen Moment lang auf der Liste der potentiellen Kandidaten, egal ob für eine Ehe oder als Vater meines ersten Kindes. Wenn ich nach Koryos Vermutung - oder Anschuldigung, je nachdem, wie man es sieht - gehe, dann habe ich aus Kalkulation mit Tokema geschlafen, denn ich sei ein kalkulierender Mensch, meint Koryo, niemand, der sich von Leidenschaften überwältigen läßt, erst recht nicht (und das nun nehme ich an, daß er denkt), wenn es um einen Mann geht, der gut mein Vater und beinah schon mein Großvater sein könnte. Ich mochte Koryo nicht glauben, er war offensichtlich eifersüchtig. Was hat er gedacht, daß ich ihn heiraten würde? Dazu bräuchte ich zuerst einmal eine sehr gute Rechtfertigung, ihm einen Adelstitel zu geben, und dann ein paar Jahre Wartezeit, damit es nicht mehr so auffällig ist. Jeder kennt die Geschichte, eine Erhebung in den Adelsstand für eine Mätresse ist nicht unüblich, aber von den Konservativen nicht gern gesehen, und für die Ehe gelten solche Aufsteiger als ganz und gar nicht geeignet.
Wie auch immer, wenn ich darüber nachdenke, Koryo wird recht haben. Zwar hatte ich in jenem Moment eher das Gefühl, mich in der Tat von Leidenschaften hinreißen zu lassen, denn ältere Männer habe ich noch nie als unattraktiver denn jüngere gesehen. Meinem Charakter jedoch entspricht es nicht, Emotionen nachzugeben, bevor sie überprüft worden sind, und ich habe mir nur nicht eingestehen wollen, daß Tokema eben doch auf der Liste stand.
Koryo sagt:" Du wußtest, daß er der allerletzte ist, der dir einen Strick daraus drehen wird. Und daß er es nicht verwenden wird, um Macht über dich zu erlangen."
Wahr ist neben diesem Punkt nun aber auch, daß Tokema Hiroshi mir in den letzten drei, vier Jahren nicht nur ein Unterstützer und Ratgeber, sondern auch ein Freund geworden ist. Ein kritischer Freund, der oft unzufrieden mit meinen Entscheidungen ist, und der mir seine Zweifel eingesteht. Ein veritabler Gegner meiner Politik der Neutralität, ein ewiger Hinterfrager, einer, der für eine andere Generation und eine andere Tradition steht als mein Onkel oder ich - und gerade aus all diesen Gründen ein Freund, weil er immer nur das Beste will für mein - unser! - Land und für mich. Insofern glaube ich, daß Kalkulation und Intuition hier zusammengearbeitet haben. Mit Koryos Verärgerung werde ich leben müssen. Meine Wahl ist nicht falsch gewesen.
Ich reise hin und her zwischen dem neuen Gildenhaus in der Hauptstadt und hier, es ist abenteuerlich, anstrengend, beanspruchend, und ich ziehe es jederzeit der gepflegten bäuerlichen Langeweile vor, mit der ich mich in Asahi und Oura auseinanderzusetzen habe. Es ist kein Zeichen von Kompetenz, so unflexibel zu sein, glücklicherweise merkt es nun niemand, weil ich gute Vertreter zuhause habe und meine Pflichten als Ratsmitglied im Rat der Hanse ebenso wichtig sind wie die alten daheim. Im Winter werde ich wieder hier in der Burg sitzen, jetzt aber ist Frühjahr, und es gibt viel zu tun. Auch bevor mich im späten Sommer und Herbst die Schwangerschaft davon abhalten wird, bei Wind und Wetter unterwegs zu sein.
Wir haben uns einen Platz im Kaiserreich erkämpft, der nicht mehr einfach so zu übersehen ist. Inse hat ein ordentliches mittelgroßes Heer zur Bewahrung unserer Sicherheit aufgestellt und arbeitet mit den Schmieden der Yamamoto Ryu zusammen, um die Herstellung besserer Waffen zu vereinfachen, mit denen die alten Techniken umgesetzt werden können. Sie hält diese Techniken, nachdem sie sie nun kennengelernt hat, für äußerst effektiv und durchaus zeitgemäß. Mir gefallen die Taktikhinweise in den Schriften beider Traditionen. Sie sind kombinierbar; manchmal fechte ich auf dem Papier und im Kopf die kleinen Kriege aus, die ich in der Wirklichkeit zu vermeiden suche, und probiere neue Kombinationen wie Schachzüge.
Es regnet, der Wind weht heftig von der Muro dela Llama her und stinkt nach Sumpf. Ich habe wenig Lust, mich gleich wieder auf den Weg nach Ciudad de Argentea zu machen. Morgen, vorher die Papiere, und ein Besuch in Oura, die Kapelle einweihen. Hoffentlich gibt es keinen Sturm, bevor der Deich befestigt ist, oder Ilvauntras Spiegel versetzt meinem Dörfchen einen schmerzhaften Schlag - gut übermorgen in die Hauptstadt. Martell wird auch nicht früher da sein.
Rico ya Ivana, Condesa
persönliche Notiz auf separatem Blatt:
Auch diese privaten Dinge sollten wohl irgendwo niedergeschrieben werden, nicht unbedingt in dem Dokument, das als erstes in den Händen meiner Erben landen wird, aber irgendwo.
Ich habe mir Gedanken über Erben gemacht, doch kann ich mich damit nicht herausreden; Tokema Hiroshi stand keinen Moment lang auf der Liste der potentiellen Kandidaten, egal ob für eine Ehe oder als Vater meines ersten Kindes. Wenn ich nach Koryos Vermutung - oder Anschuldigung, je nachdem, wie man es sieht - gehe, dann habe ich aus Kalkulation mit Tokema geschlafen, denn ich sei ein kalkulierender Mensch, meint Koryo, niemand, der sich von Leidenschaften überwältigen läßt, erst recht nicht (und das nun nehme ich an, daß er denkt), wenn es um einen Mann geht, der gut mein Vater und beinah schon mein Großvater sein könnte. Ich mochte Koryo nicht glauben, er war offensichtlich eifersüchtig. Was hat er gedacht, daß ich ihn heiraten würde? Dazu bräuchte ich zuerst einmal eine sehr gute Rechtfertigung, ihm einen Adelstitel zu geben, und dann ein paar Jahre Wartezeit, damit es nicht mehr so auffällig ist. Jeder kennt die Geschichte, eine Erhebung in den Adelsstand für eine Mätresse ist nicht unüblich, aber von den Konservativen nicht gern gesehen, und für die Ehe gelten solche Aufsteiger als ganz und gar nicht geeignet.
Wie auch immer, wenn ich darüber nachdenke, Koryo wird recht haben. Zwar hatte ich in jenem Moment eher das Gefühl, mich in der Tat von Leidenschaften hinreißen zu lassen, denn ältere Männer habe ich noch nie als unattraktiver denn jüngere gesehen. Meinem Charakter jedoch entspricht es nicht, Emotionen nachzugeben, bevor sie überprüft worden sind, und ich habe mir nur nicht eingestehen wollen, daß Tokema eben doch auf der Liste stand.
Koryo sagt:" Du wußtest, daß er der allerletzte ist, der dir einen Strick daraus drehen wird. Und daß er es nicht verwenden wird, um Macht über dich zu erlangen."
Wahr ist neben diesem Punkt nun aber auch, daß Tokema Hiroshi mir in den letzten drei, vier Jahren nicht nur ein Unterstützer und Ratgeber, sondern auch ein Freund geworden ist. Ein kritischer Freund, der oft unzufrieden mit meinen Entscheidungen ist, und der mir seine Zweifel eingesteht. Ein veritabler Gegner meiner Politik der Neutralität, ein ewiger Hinterfrager, einer, der für eine andere Generation und eine andere Tradition steht als mein Onkel oder ich - und gerade aus all diesen Gründen ein Freund, weil er immer nur das Beste will für mein - unser! - Land und für mich. Insofern glaube ich, daß Kalkulation und Intuition hier zusammengearbeitet haben. Mit Koryos Verärgerung werde ich leben müssen. Meine Wahl ist nicht falsch gewesen.